11.02.2009 - Teil 2
Noch zu keinem Zeitpunkt wurde uns die Gastfreundlichkeit und Hilfsbereitschaft der russischen Bevölkerung nicht zuteil. Und ohne die freundlichen russischen Helfer wird es hier sehr schwierig bis unmöglich. Du brauchst mal schnell ein schweres Werkzeug oder ein Schweißgerät oder eine Drehbank oder eine Garage oder was auch immer. An dieser Stelle möchten wir zwischendurch wieder einmal allen, die wir kennen lernen durften weil sie uns halfen, und denen, die für das Einsatzteam unbekannt etwas tun oder taten, sei es im Vorder- oder im Hintergrund, vielen, vielen Dank sagen.
Am nächsten Abend ging es weiter auf eine 380 km lange, nervenzehrende Fahrt auf dem Fluss Kolymar. Diese mit Eislöchern gespickte Buckelpiste (entstanden aus Luftblasen, die von Trucks eingedrückt wurden) hatte es in sich. Hundertfach schlagen die Reifen durch, brechen wir in Messerscharfe Eislöcher ein oder durchfahren sie, überfahren wir Steine, Baumstämme etc. Dass wir weder an einem der Anhänger, noch an einem der Jeeps bisher einen Reifenschaden hatten, bestärkt mal wieder meine Überzeugung, dass wir mit dem Goodyear Wrangler MT/R den besten Geländereifen der Welt auf unseren Expeditionen einsetzten.
Wir benötigten für die nonstop Fahrt mit bis zu -50°C - während derer wir auch den Arctic Circle überquerten - rund 16 Stunden und kamen geschlaucht in Schritniekolimsk, einem Dorf in the middle of nowhere an. Dort angekommen wurden wir binnen Minuten von Journalisten und Einwohnern begrüßt. Es ist ein wirklich schönes kleines Dorf, das an das Ufer der Kolymar aus Holz gebaut wurde. Es ist aufgeräumt und die kleinen eigenen Häuser sind größtenteils hübsch zu Recht gemacht und gepflegt. Das dieses kleine Dorf, in dem neun Monate im Jahr Winter herrscht, auch Stadtrechte besitzt, geht - wie wir hörten - auf eine Geschichte während der Zeit von Katarina II zurück.
Auf Grund der extremen Winterwege, die uns und unserem Material alles abverlangen, müssen wir alle paar hundert Kilometer kontrollieren und reparieren. Zum Glück hatten wir auch dieses Mal eine kleine Garage, in der es um null Grad war und wir die Arbeiten erledigen konnten.
Wenn man sich fragt wie die Wege, die wir fahren sind, so kann man nur sagen, dass viele normale Geländewagen diese schon auf Grund der Böschungswinkel kaum hätten meistern könnten ohne sich die Stoßstange etc. abzureißen. Man kann kaum beschreiben wie zerstörerisch sie sind. Tausende von Löchern, hohen Wellen, Ästen, Baumstämmen, steile Auf- und Abfahrten in Flussbetten etc. Und wir zerren dort auch noch die Trailer durch. Das dies nicht bis ans Ende ohne Schäden geht ist allen klar. Wann wir jedoch das erste größere Problem haben würden konnte keiner sagen. Dass es aber nicht mehr lange dauern konnte bis irgendetwas nachgab war klar. Heute Nacht war es dann soweit. Es passierte in einem Hohlweg ca. 50 km hinter Schritnikolimsk. Rechts und links eine 1 m hohe Böschung. Der Weg war so schmal, dass immer nur einer durchfahren konnte und mit hohen Wellen und Brüchen versehen. Dort zerrten wir die Trailer im ersten Gang mit Untersetzung und Sperren durch, als ich meinen plötzlich im Rückspiegel vorne in die Luft ragen sah. Zuerst dachte ich die Anhängerkupplungen seien auseinander gerissen, was aber nicht der Fall war. Es war der Rahmen, an dem ein Teil abgebrochen war. Nun hieß es improvisieren. Und das - wegen der Kälte und weil große Uraltrucks vor und hinter uns auf die Durchfahrt warteten - schnell. Mit Spanngurten bauten wir eine Behelfslösung und machten nach rund einer Stunde die Gasse frei, indem wir uns etwa 300 m weiter in die Böschung schlugen.
Nachdem die Trucks passiert hatten, mussten wir noch auf schwierige Art und Weise wenden und fuhren sehr langsam zurück in ein kleines Dorf mit Namen Nalimsk, welches wir vor ungefähr 30 km passiert hatten. In dem Dorf, in dem ausschließlich Jakuten auf traditionelle Art und Weise mit der Natur leben, fragten wir den Bürgermeister wer uns ein Schweißgerät zur Verfügung stellen oder uns etwas schweißen könne. Er sagte uns, dies sei nur morgen früh möglich und lud uns ein in seinem Bürgermeisterzimmer zu übernachten. Zwischen Stühlen, Fahnen und Tischen schliefen Ulrich Kaifer, Kaspar Mettler, Marco Schwarzer und Konstantin Savva, während ich in meinem Wagen blieb um sicher zu stellen, dass die Motoren bei -50°C gut durchliefen.
Am nächsten Morgen organisierte der Bürgermeister wie versprochen die Reparatur. Ivan, der Schweißer des kleinen Kohleheizkraftwerks des Dorfes, nahm uns mit zu sich nach Hause. Er hatte einen kleinen Transformator mit dem er ein elektrisches Schweißgerät betreiben konnte. Nachdem er Felle unter dem Anhänger ausgebreitet und aus einer alten Stahltürzarge vier Verstärkungsteile hergestellt hatte, begann er mit richtigen Schweißen. Die Reparatur inkl. der präventiven Maßnahmen dauerte den ganzen Tag - draußen versteht sich, weil es keine Garage gab. Zwischenzeitlich lud er uns noch zu Tee und Gebäck, anschließend sogar noch zum Pferdefleisch essen ein. Da sich in dem traditionellen Hauptgericht auch eine ausgiebige Menge Pferdedärme befand, fiel es einem Teil des Teams nicht leicht der Höflichkeit halber die von der anwesenden Schwiegermutter randvoll gefüllten Teller zu leeren. Gegen 17 Uhr wollten wir aufbrechen und befuhren langsam die Dorfstraße, als immer mehr Kinder und Jugendliche um uns herum auftauchten. Auch Erwachsene kamen, aus Fenstern wurde gewunken.
Wir hielten wieder und wieder an, erklärten, ließen auf den Autos unterschreiben und mussten Fotos machen. Abschließend bug man für uns sogar noch frische Brote für den 700 km langen harten Weg, im mehr oder weniger Schritttempo nach Tscherskie, der nun vor uns liegt. Bei einsetzendem Schneefall fuhren wir los.